Wie ein einziger Satz eine an sich solidarische Berichterstattung völlig pervertieren kann? Der Artikel1 „Synagogengemeinde fordert mehr Solidarität für Juden in Köln ein“ von Marius Fuhrmann2 im Kölner Stadt-Anzeiger vom 05. April 2025 ist ein Paradebeispiel. Was eigentlich Unterstützung für die jüdische Community thematisieren sollte, wird zur Schadetat an jüdischer Sicherheit. Nachfolgend findet sich mein Lesebrief an den Kölner Stadt-Anzeiger.
Auch im anschließenden Email-Austausch mit dem Autor des problematischen Artikels gelang es bedauerlicherweise nicht, die Problematik des Artikels zu vermitteln. Der Austausch blieb in der Sache leider ergebnislos, verdeutlichte im Gegenzug aber das Problem – leider – umso mehr.
Wortlaut:
Sehr geehrtes Team des Kölner Stadt-Anzeigers,
mit großer Irritation habe ich Ihren Artikel „Synagogengemeinde fordert mehr Solidarität für Juden in Köln ein“ von Marius Fuhrmann zur Kenntnis genommen.
In einer Zeit in der jüdische Gemeinden in Deutschland erneut unter akuter Bedrohung stehen und antisemitische Straftaten Höchststände erreichen ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn Medien den Stimmen dieser Gemeinden Raum geben.
Umso befremdlicher ist es, wenn ein solcher Beitrag durch tendenziöse Einordnungen konterkariert wird.
So lautete es in Ihrem Artikel: „Das Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen wurde nicht erwähnt.“
Diese Formulierung ist sachlich verkürzt und in ihrer Wirkung hochgradig suggestiv.
Nach aktuellen Angaben der Hamas selbst handelt es sich bei rund 72 % der Todesopfer um Männer im kampffähigen Alter zwischen 13 und 55 Jahren – umgekehrt also eine im Vergleich zu anderen Konflikten im Nahen Osten historisch niedrige Quote gesichert ziviler Opfer.
In Anbetracht dieser Zahlen sowie der Tatsache, dass die Hamas gezielt zivile Infrastruktur für militärische Zwecke missbraucht sowie ihre Kämpfer oft und systematisch als Zivilisten tarnt, ist der pauschale Begriff „Zivilbevölkerung“ mindestens erklärungsbedürftig.
Wieso wird hier dennoch von „Zivilbevölkerung“ gesprochen, ohne diese zumindest journalistisch einzuordnen?
Besonders brisant kommt hinzu: Der 7. Oktober 2023 markiert nicht nur das schlimmste Massaker und Pogrom an Jüdinnen und Juden seit der Schoah sondern stellt darüber hinaus einen gezielten palästinensischen Angriffskrieg auf die Zivilbevölkerung Israels dar – mit dem erklärten Ziel der systematischen Vernichtung jüdischen Lebens, einem Wahlversprechen der im Jahr 2006 demokratisch gewählten Hamas.
Die Entscheidung, ausgerechnet in einem Artikel über die Sicherheitslage jüdischen Lebens in Köln diesen vermeintlichen Mangel an Empathie gegenüber Gaza zu betonen, folgt einem rhetorischen Muster, das seit Jahren in der öffentlichen Debatte zu beobachten ist: Das reflexhafte „Ja, aber…“, wann immer es um jüdisches Leid, jüdische Forderungen oder israelische Sicherheit geht.
Dieser Modus der Berichterstattung über Jüdinnen und Juden ist nicht nur unsensibel, er entspricht einem strukturell antisemitischen Narrativ und grenzt meines Erachtens nach an Zynismus.
Die Frage sei erlaubt: Warum fiel es Herrn Fuhrmann offenbar schwer, die perspektive der jüdischen Gemeinde ohne Relativierung; ohne Einschränkung gelten zu lassen?
Eine öffentliche Richtigstellung sowie eine redaktionelle Überarbeitung des Artikels sind aus journalistischer wie gesellschaftlicher Verantwortung heraus dringend geboten.
Mit Nachdruck und erwartungsvoller Aufmerksamkeit
Arthur Sliwa
- Link zum Artikel: https://www.ksta.de/koeln/koelner-innenstadt/jahresempfang-der-koelner-synagogengemeinde-forderung-nach-mehr-solidaritaet-fuer-juden-998347 ↩︎
- Link zum Autorenprofil von Marius Fuhrmann beim KStA: https://www.ksta.de/autor/marius-fuhrmann-109272 ↩︎